Reife heißt auch Haltung zeigen

07.07.2025

Ich bin erschüttert. In Essen plante ein Abiturjahrgang seine Abschlussfeier nach Geschlechtern getrennt durchzuführen – offenbar aus religiösen Gründen. Die Schülerinnen und Schüler hatten sich dafür sogar juristischen Beistand organisiert. Erst nachdem Lehrkräfte ankündigten, an einer solchen Veranstaltung nicht teilzunehmen, wurde von der Idee Abstand genommen. Die Schulleitung spricht von einer „Einzelmeinung“. Doch das wirkt wenig überzeugend. Wenn Juristen eingeschaltet werden, steckt mehr dahinter als nur eine spontane Idee.
Was mich besonders besorgt: Hier offenbart sich ein alarmierendes Beispiel religiös motivierter Desintegration. Die Trennung der Geschlechter bei einer Abiturfeier – einem Moment der Reife und Gemeinschaft – widerspricht zutiefst dem Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 unseres Grundgesetzes. Gleichberechtigung ist keine kulturelle Frage, sondern ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Wer das Abitur macht, sollte diesen Wert verinnerlicht haben. Es gehört zur Reifeprüfung dazu.
Doch solche Vorfälle sind kein Einzelfall. Seit Jahren hört man von verweigertem Schwimmunterricht und boykottierten Klassenfahrten – oft mit religiöser Begründung. Wie sollen unsere Schulen Integration leisten, wenn ihre Angebote offenbar regelmäßig umgangen werden?
Besonders bedrückend empfinde ich, dass laut WAZ vom 12.06.2025 eine Lehrkraft von muslimischen Schülerinnen berichtet, die nur in der Schule ein Kopftuch tragen – aus Angst vor dem Druck muslimischer Schülergruppen. Das ist kein Ausdruck freier Religionsausübung, das ist Einschüchterung. Artikel 4 unseres Grundgesetzes schützt nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch das Recht, sich religiösen Zwängen zu entziehen. Diese negative Religionsfreiheit müssen wir ernster nehmen.
Prävention gegen und das Auseinandersetzen mit religiösem und politischem Extremismus ist Aufgabe der Schulen – ja. Aber nicht allein. Auch Gesellschaft, Politik und Familien stehen in der Verantwortung. Unsere Verfassungsväter haben keine Gesellschaft gewollt, in der religiöse Regeln über demokratischen Grundwerten stehen – weder in Essen, noch Witten, noch sonst wo.
Ihr Ratsmitglied Sarah Kramer